Die Energiewirtschaft unterliegt grundlegenden Veränderungen durch Regulierung und die Energiewende. Zudem führt die Digitalisierung branchenübergreifend zu neuen Kundenbedürfnissen, Produkten und Wettbewerbern. Viele Stadtwerke verzeichnen daher hohe Kundenverluste im Stammgeschäft und verpassen den Anschluss an neue energienahe Wertschöpfungen. Zwar ist der Innovationsdruck immens und viele Stadtwerke sind motiviert - doch unflexible Strukturen und Methoden sowie eine veraltete Fehlerkultur verhindern wirkliche Innovation im Stadtwerk.
Von der Tarifanpassung zu neuer Wertschöpfung
Früher bestand die Hauptaufgabe von Produktmanagern im Stadtwerk darin, regelmäßige Preisanpassungen durchzuführen sowie hin und wieder einen neuen Tarif aufzusetzen. Beides wurde idealerweise nach einem strukturierten Entwicklungsprozess unter Einbindung aller beteiligter Abteilungen über Monate hinweg akribisch vorbereitet und schrittweise über den Zug der Instanzen freigegeben. Heute entwickelt sich der Markt viel schneller und alte Prozesse sind nicht mehr wettbewerbsfähig.
Agile Produktentwicklung: Kundenfokussierung und schnelles Scheitern durch interdisziplinäre Teams mit Ergebnisverantwortung
Agile Produktentwicklung setzt auf klassischen Produktentwicklungsprozessen auf, nutzt jedoch Grundsätze und Erkenntnisse erfolgreicher Start-ups. Dabei werden agile Methoden wie Design Thinking, Lean Startup, oder Business Model Canvas, nicht nur genutzt, sondern als Unternehmensphilosophie gelebt. Ziel ist es im gesamten Unternehmenskontext ein effizientes und kundennahes System zu etablieren, das schnell auf Einflüsse von außen reagieren kann und eine echte Fehlerkultur lebt. Kritiker bemängeln dabei das iterative Vorgehen, die Wiederholungsschleifen, fehlende Festlegungen, und eine mangelnde Vorbereitung. Es prallen die Welten des klassischen Projektmanagements, welches z.B. das Lasten- und Pflichtenheft als essentiellen Bestandteil sieht, mit dem agilen Projektmanagement und seiner zyklischen Bearbeitung, veränderbaren Anforderungen, schneller Produkteinführung und direkter „Verprobung“ am Markt, aufeinander. Agile Produktentwicklung klingt sozusagen wie der Albtraum eines klassischen Entwicklers. Aber warum funktioniert agile Produktentwicklung so oft?
Unsere erste Hypothese ist, dass sich die theoretisch ermittelte Nachfrage und die realen Bedürfnisse in den immer komplexer werdenden Märkten nicht decken. Das liegt zum einen an deutlich komplexeren Produkten aber auch daran, dass der Kunde seine eigenen Bedürfnisse initial gar nicht mehr kennt. Die Methode Design Thinking soll diesen realen Bedürfnissen sukzessive auf den Grund gehen. Ursprünglich wollten mit dieser Methode Designer die Bedürfnisse des Kunden mit den technologischen Möglichkeiten in Einklang bringen. Die klare Zielsetzung, einen Prototyp zu schaffen der solange getestet und verfeinert wird bis er optimal die Bedürfnisse des Kunden trifft lässt sich aber optimal auf die moderne Produktentwicklung anwenden. Herauszustellen ist hier insbesondere der Vorteil heterogener und interdisziplinärer Teams. Andere Ansichten und Ideen bereiten oft erst den Weg zum optimalen Produkt.
Unsere zweite Hypothese ist, dass neben aller anderen Änderung im Markt die Veränderung von Wertschöpfungsketten und Geschäftsmodellen die größten Herausforderungen für den kommerziellen Erfolg sind. Dabei muss früh in der Entstehungsphase ein gesamtheitlicher Blick auf und um das Produkt geworfen werden. Wer aber Zeit aufwendet einen Businessplan zu schreiben hat sich schon auf ein fertiges Produkt festgelegt und viel Aufwand getrieben. Hier schafft die Business Model Canvas Methode Abhilfe. Das Canvas ermöglicht es mit einem festen Schema mit geringem Aufwand die wichtigsten Rahmenbedingungen und angestrebten Kundenwerte eines Geschäftsmodells darzustellen und trotzdem dabei flexibel zu sein. Dieses Modell ist nie abgeschlossen, sondern „lebt“ und kann jederzeit geändert werden - so wie der Markt und das Umfeld es ständig tun. Oft ist so die initiale Idee und das erste Produkt nach einiger Zeit nur noch eine Randnotiz.
Unsere dritte Hypothese ist, dass Produktlebenszyklen sich in den letzten Jahren immer weiter verkürzt und schnelle Reaktionen essentiell geworden sind, um erfolgreiche Produkte anzubieten. Projektlaufzeiten, die vor 10 Jahren noch vollkommen normal waren, sind heute undenkbar. Lean Startup verkürzt diese Laufzeit auf ein Minimum und ist eine der Lösung für diesen volatilen Markt. Hier werden Hypothesen formuliert die mit einem Minimal Viable Product (MVP) verprobt werden. Das MVP stellt das Produkt dar, welches gerade so nutzbar („überlebensfähig“) ist und dadurch mit dem geringsten Aufwand hergestellt wurde. Somit können Unternehmen auf viele Ideen gleichzeitig setzen und in kurzen Abständen entscheiden, welche Ideen weiterverfolgt werden.
Welchen Mehrwert bieten diese Instrumente?
Trotz aller Bedenken, festgefahrener Strukturen und etablierten Prozessen sind wir überzeugt, dass es diese neuen Methoden braucht, um zu verhindern, dass ein Produkt bei Markteintritt seinem Lebenszyklusende bereits entgegensieht. Die Bedürfnisse der Kunden werden mit den beschriebenen Methoden in den Mittelpunkt gerückt. Das aber wohl wichtigste Argument ist, dass für die Umsetzung weder Unsummen an allokiertem Budget, noch große Softwarelösungen und Projektmanagementzertifikate benötigt werden. Am Ende benötigt es als Startinvestment nämlich nur den Mut und die Motivation um agil Produkte zu entwickeln. Wenn das mal kein MVP ist…