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Fit für den Energiemarkt der Zukunft

Wie Stadtwerke angesichts radikaler Umbrüche im Energiehandel ihre Handlungsfähigkeit sichern und sich zukunftssicher ausrichten

Der Energiehandel befindet sich inmitten eines fundamentalen Wandels. Getrieben durch Energiewende, regulatorische Neuerungen und technologische Entwicklungen sehen sich Stadtwerke und regionale EVU mit einer Vielzahl paralleler Herausforderungen konfrontiert. Klassische Beschaffungs- und Vermarktungsmodelle geraten zunehmend unter Druck:

Zum einen verändert die Einbindung von Strom aus erneuerbaren Energien die Beschaffungslogik grundlegend: Die zunehmende Bedeutung langfristiger Stromlieferverträge (Power Purchase Agreements) sowie eigener Erzeugung erfordert neue Ansätze im Portfoliomanagement. Da erneuerbare Energien nicht kontinuierlich in gleicher Menge verfügbar sind, müssen Versorger Schwankungen ausgleichen und zugleich vertraglich zugesicherte Lieferungen zuverlässig gewährleisten. Damit einher geht ein deutlich komplexeres Risiko- und Mengenmanagement, das klassische Ansätze vielfach überfordert.

Zum anderen verändert der zunehmende Einsatz intelligenter Messsysteme, prosumierender Haushalte, flexibler Lasten und dynamischer Tarife die Anforderungen an die Portfoliosteuerung. Da der Stromverbrauch von HaushaltskundInnen stärker schwankt und zunehmend flexibel auf aktuelle Rahmenbedingungen reagiert, müssen Energieversorger ihre Portfolios kurzfristiger und anpassungsfähiger steuern. Granulare Lastprofile, präzise Echtzeitprognosen und eine wachsende Zahl an Steuerungsgrößen erhöhen dabei die Anforderungen an IT-Systeme, Datenqualität und operative Prozesse erheblich.

Hinzu kommen verschärfte regulatorische Vorgaben – etwa durch die Einführung des EU-Emissionshandelssystems 2 (EU ETS 2). Dieses bringt zusätzliche Komplexität in Kostenstrukturen, den Zertifikatehandel sowie die Weitergabe an KundInnen mit sich und erfordert eine noch engere Verzahnung von Handel, Abrechnung und Kommunikation.

Die Gleichzeitigkeit dieser Herausforderungen droht Energiehandelsorganisationen strukturell zu überfordern. Um zu verhindern, dass sich Unternehmen in einer Vielzahl von Einzelprojekten verzetteln oder ihre Organisation überlasten, sollten Unternehmen den Fokus auf den gezielten Aufbau zentraler Fähigkeiten richten, als Grundlage, um aktuellen und künftigen Anforderungen wirksam begegnen zu können.

  

Technische Fähigkeiten als Basis für Handlungsfähigkeit

Die vielfältigen Anforderungen sollten in ihrer Gesamtheit betrachtet werden und münden in einen gemeinsamen Lösungsansatz. Das Zielbild des künftigen Energiehandels erfordern eine belastbare technische und prozessuale Grundlage. Leistungsfähige IT-Systeme und fortschrittliche Lösungen zur Entscheidungsunterstützung sind ein wesentlicher Faktor für Reaktions- und Wettbewerbsfähigkeit. Denn viele der aktuellen Herausforderungen lassen sich nicht innerhalb des bestehenden technisch-organisatorischen Set-up lösen. Vielmehr erfordern sie digitale Infrastrukturen, die es ermöglichen, Entscheidungen auf Basis aktueller Daten zu treffen, Prozesse zu automatisieren und Systeme intelligent zu verzahnen.

Im Zentrum stehen drei technische Fähigkeiten, die als Grundlage für nahezu alle strategischen und operativen Weiterentwicklungen dienen:

  • Echtzeitfähigkeit
    Die Fähigkeit, Daten aus Erzeugung, Verbrauch, Marktpreisen und Wetterprognosen in hoher Frequenz zu verarbeiten und nutzbar zu machen, ist essenziell für kurzfristige Reaktionen. Sie bildet die Basis für Intraday-Handel, Flexibilitätsvermarktung und operative Steuerungsentscheidungen.
    Technisch erfordert dies performante Datenplattformen mit hoher Verarbeitungsgeschwindigkeit sowie Schnittstellen zu Handels-, Prognose- und Steuerungssystemen.
     
  • Automatisierung, Entscheidungsunterstützung und Prognose durch KI
    Die wachsende Komplexität im Energiehandel lässt sich manuell kaum noch bewältigen. Für Prognosen von Lastgängen, Einspeisung oder Marktpreisen haben sich KI-gestützte Verfahren – insbesondere Machine-Learning-Modelle – etabliert. Sie ermöglichen eine deutlich höhere Genauigkeit, können Szenarien simulieren und Handlungsoptionen ableiten. Viele Entscheidungen lassen sich dadurch teil- oder sogar vollautomatisieren.
    Grundlage dafür sind trainierte ML-Modelle, Zugriff auf strukturierte Daten, sowie die Integration in operative Systeme (z. B. Fahrplanmanagement oder Risikomodellierung).
     
  • Systemintegration und Datenmanagement
    Viele Versorger verfügen über Daten – aber diese liegen in getrennten Systemen, Formaten oder Verantwortungsbereichen vor. Eine zentrale Fähigkeit besteht daher darin, verschiedene Systemwelten wie Prognose, Handel, Erzeugung, Abrechnung und Messwesen technisch zu verbinden und konsistent miteinander arbeiten zu lassen.
    Voraussetzung sind Schnittstellen (APIs), Middleware-Lösungen oder modulare Plattformarchitekturen, die den Datenaustausch ermöglichen und eine einheitliche Persistierung in einem zentralen Datawarehouse garantieren.

  

Capability Roadmap: Wie Energieversorger wirksam auf Veränderung reagieren

Die zur Bewältigung der aktuellen und künftigen Herausforderungen im Energiehandel erforderlichen technischen und organisatorischen Grundlagen sind grundsätzlich verfügbar. Entscheidend ist ein pragmatischer und zielgerichteter Ansatz, der sich an der individuellen Ausgangslage des Unternehmens orientiert und den schrittweisen Aufbau konkreter Handlungskompetenz in den Mittelpunkt stellt. Ein bewährtes Vorgehen umfasst drei aufeinander aufbauende Schritte:

  1. Reifegradanalyse und Standortbestimmung
    Der erste Schritt besteht in der systematischen Analyse des Status quo der technischen Fähigkeiten und Prozesse im Energiehandel. Wo stehen wir heute in Bezug auf Datenverfügbarkeit, Prognosegenauigkeit, Systemintegration oder Automatisierung? Wie robust und einfach sind die Prozesse? Welche technischen Grundlagen sind bereits vorhanden – und wo bestehen Kompetenzlücken, die uns daran hindern, auf aktuelle oder künftige Herausforderungen zu reagieren?
     
  2. Entwicklung eines Zielbildes und Priorisierung von Handlungsfeldern
    Auf Basis dieser Staus quo Analyse wird ein Zielbild entwickelt, eine Roadmap mit Handlungsfeldern und technischen Projekten entlang klarer Kriterien erstellt und priorisiert: Welcher erwartete Mehrwert kann erschlossen werden? Welche Maßnahmen sind besonders grundlagenrelevant für den weiteren Fähigkeitsaufbau? Wo lassen sich technische Durchstiche erzielen, die schnell Wirkung entfalten und weitere Entwicklungsschritte erleichtern?
     
  3. Umsetzung mit Fokus auf technische Wirksamkeit und Zukunftssicherheit
    In der Umsetzung steht nicht die kurzfristige Erfüllung einzelner regulatorischer Anforderungen im Vordergrund, sondern der Aufbau einer tragfähigen technischen Infrastruktur. Ziel ist es, Systeme und Prozesse so zu gestalten, dass sie flexibel, erweiterbar und integrationsfähig sind – und damit auch auf zukünftige Anforderungen reagieren können. Technische Durchstiche – also erste realisierte End-to-End-Fähigkeiten – sind dabei zentrale Meilensteine. Sie ermöglichen es, neue Funktionen nicht nur konzeptionell, sondern operativ erfahrbar und nutzbar zu machen.

  

Fazit

Der Energiehandel steht unter massivem Veränderungsdruck – getrieben durch die Energiewende, volatile Märkte, neue regulatorische Rahmenbedingungen und technologische Entwicklungen. Für Energieversorger bedeutet das: klassische Strukturen, Prozesse und Systeme reichen nicht mehr aus, um den heutigen Anforderungen gerecht zu werden.

Diese Herausforderungen lassen sich weder gleichzeitig noch isoliert effektiv bewältigen. Entscheidend ist daher ein systematischer Aufbau technischer und organisatorischer Fähigkeiten – etwa Echtzeitfähigkeit oder KI-gestützte Prognose- und Entscheidungsunterstützung. Dabei gilt: Es muss gesamtheitlich gedacht werden. Individuallösungen, die kurzfristig einzelne Probleme adressieren, führen langfristig zu hohen Kosten und zusätzlichem Aufwand, da sie bei jeder Marktveränderung oder jedem Systemupdate nachjustiert werden müssen.

Nur durch einen integrierten, zukunftsorientierten Ansatz entsteht Schritt für Schritt eine Energiehandelsorganisation, die nicht mehr von Einzelanforderungen getrieben ist, sondern über die Fähigkeiten verfügt, auch auf künftige Marktveränderungen, Regulierungen oder Geschäftsmodelle souverän zu reagieren.

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Als erfahrener Partner zahlreicher Stadtwerke und EVUs unterstützen wir Sie mit tiefem Know-how in allen Fragen rund um Handelsprozesse, Portfoliosteuerung und Systemarchitektur – von der Analyse über die technische Umsetzung bis hin zur operativen Befähigung.

Sprechen Sie uns gerne an – wir begleiten Sie auf dem Weg zu einem zukunftssicheren Energiehandel.

Portrait Hilscher Thomas

Thomas Hilscher

Senior Consultant