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#3 Energiehandel

KI im Energiehandel: Chancen und Herausforderungen in einer dynamischen Branche

Teil 3

Die Energiewirtschaft steht vor einem tiefgreifenden Wandel, der durch die Energiewende, den Fachkräftemangel und steigenden Wettbewerbsdruck geprägt ist. Im Energiehandel werden diese Herausforderungen besonders deutlich.

Der Zuwachs dezentraler und fluktuierender Erzeuger sowie Verbraucher hat die Anzahl und Komplexität der Einflussfaktoren drastisch erhöht. Insbesondere im Intraday-Handel, wo Marktsituationen sich in Sekundenschnelle ändern, ist es nahezu unmöglich für menschliche Mitarbeiter, den Überblick über die große Menge an parallelen Einflussfaktoren zu behalten. Die Konsequenz: Unternehmen greifen zunehmend auf Algorithmen und KI-Systeme zurück, um die wachsende Datenflut zu bewältigen und schnellere, fundierte Entscheidungen zu treffen.

  

Die Rolle von künstlicher Intelligenz im Energiehandel

Algorithmen und KI sind kein Ersatz für menschliche Intelligenz, sondern ein Werkzeug, um Routineprozesse zu automatisieren und Mitarbeitende zu entlasten. Der Fokus liegt darauf, Fachkräfte von zeitintensiven Aufgaben zu befreien, damit sie sich auf strategische und anspruchsvolle Tätigkeiten konzentrieren können. KI-Anwendungen im Energiehandel reichen von unterstützenden Bots, die Marktdaten analysieren und Handlungsempfehlungen aussprechen, bis hin zu vollständig automatisierten Systemen, die Handelsstrategien auf Basis von Vorgaben der HändlerInnen eigenständig entwickeln und umsetzen.

  

Herausforderungen bei der Implementierung von KI

Die Einführung von KI ist ein komplexer Prozess, der weit über die bloße Integration neuer Technologien hinausgeht. Eine zentrale Voraussetzung ist eine robuste Datengrundlage, die sowohl quantitativ ausreichend als auch qualitativ hochwertig sein muss. Ohne eine konsistente Datenbasis kann selbst die fortschrittlichste KI ihre Potenziale nicht ausschöpfen. Für die Entwicklung, das Training und das Backtesting von KI-Systemen ist in der Regel eine Datenhistorie von ein bis mehrere Jahre erforderlich.

Ein nicht unerheblicher Teil des Aufwands für die Entwicklung eines KI-Modells besteht in dem Wissenstransfer aus den Fachbereichen zu den Entwicklern. Diese müssen die Inputdaten und Prozesse, inklusive möglicher Sonderfälle, verstehen, um die Modelle zielgerichtet zu entwerfen. Die Datenaufbereitung und Methodik kann bei einem entwickelten System im Nachhinein nicht mehr überprüft werden.

Technische und regulatorische Herausforderungen verschärfen die Komplexität zusätzlich. Die dynamischen Bedingungen auf Energiemärkten und die Unvorhersehbarkeit vieler Faktoren erschweren die Entwicklung stabiler Modelle. Regulatorische Vorgaben, wie die Einhaltung von Transparenzpflichten, machen es notwendig, dass Entscheidungen von KI-Systemen nachvollziehbar bleiben. Besonders bei neuronalen Netzen, die oft wie eine „Black Box“ wirken, stößt dies an Grenzen. Diese fehlende Transparenz kann im Energiehandel, der stark reguliert ist, problematisch werden.

  

Potenziale der KI im Energiehandel

Eine Studie der m3 in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut hat die Potenziale von KI in verschiedenen Bereichen der Energiewirtschaft untersucht. Im Fokus des Energiehandels wurden drei Hauptanwendungsfelder identifiziert:

  1. Erkennen:
    KI kann Handelsaktivitäten überwachen und analysieren, um Muster und Abweichungen zu identifizieren. Beispielsweise können potenzielle Mengenabweichung oder Fehler in der Abwicklung frühzeitig erkannt werden.
     
  2. Empfehlen:
    Die größte Stärke der KI liegt in der Prognose. Machine-Learning-Modelle und neuronale Netze analysieren kontinuierlich Preisbewegungen, Volatilität und externe Einflussfaktoren wie Wetterdaten oder Netzbelastungen. So können Handelsstrategien optimiert und bessere Entscheidungen getroffen werden.
     
  3. Machen:
    Automatisierte Handelsbots führen eigenständig Handelsgeschäfte aus. Einfache Algorithmen folgen regelbasierten Strategien, während fortschrittliche Bots mithilfe von Reinforcement Learning ihre Strategien selbst entwickeln und anpassen können.

  

Ein konkretes Beispiel: IntraScope

IntraScope, ein Gemeinschaftsprojekt der m3 und INTENSE, nutzt künstliche Intelligenz, um die komplexen Dynamiken des Intraday-Stromhandels zu analysieren und präzise Vorhersagen zu ermöglichen. Im Intraday-Markt beeinflussen Faktoren wie Wetter, Netzfrequenz oder Kraftwerksverfügbarkeit die Preise in Echtzeit. Für menschliche HändlerInnen ist es nahezu unmöglich, all diese Variablen und ihre Wechselwirkungen ständig im Blick zu behalten. Herkömmliche Prognosen, die auf einem einzelnen Erwartungswert basieren, greifen hier oft zu kurz, da sie Unsicherheiten und Marktschwankungen nur unzureichend abbilden.

IntraScope liefert hingegen volumengewichtete Preisverteilungen für alle Produkte. Diese Verteilungsprognosen bieten ein detaillierteres Verständnis der Marktdynamik und ermöglichen fundierte Entscheidungen, da sie sowohl das Handelsvolumen als auch die Risikobereitschaft einbeziehen.

Artikel: KI im Energiehandel # Grafik 1

Das Tool verarbeitet kontinuierlich Daten wie Wind- und PV-Prognosen, EPEX-Orderbuchdaten und Netzfrequenzinformationen. Vortrainierte KI-Modelle werden regelmäßig aktualisiert, um aktuelle Marktbedingungen zu berücksichtigen. Prognoseverteilungen können flexibel in automatisierte Handelssysteme eingebunden oder in Dashboards für menschliche HändlerInnen visualisiert werden, was eine intuitive Entscheidungsgrundlage bietet. Damit wird eine präzisere Abwägung von Chancen und Risiken möglich, was dem System eine zentrale Rolle im modernen Energiehandel verleiht.

Langfristig zielt das Projekt darauf ab, eine umfassende Plattform zu entwickeln, die über Prognosen hinausgeht. Mit Werkzeugen wie Marktsimulationen und autonomen Trading-Bots soll der Energiehandel nicht nur optimiert, sondern grundlegend transformiert werden.

  

Schlussfolgerung und Ausblick

Der Weg zur umfassenden Nutzung von KI im Energiehandel führt über einen systematischen und schrittweisen Ansatz. Unternehmen sollten frühzeitig in die Erfassung und Aufbereitung relevanter Daten investieren und prüfen, ob ihre IT-Systeme in der Lage sind, die stark steigenden Handelsvolumina effizient zu verarbeiten. Mit Projekten wie IntraScope zeigt die Branche bereits erste Schritte in Richtung eines KI-gestützten Energiehandels. Dennoch bleibt die langfristige Herausforderung, KI-Modelle nicht nur technologisch weiterzuentwickeln, sondern auch so zu gestalten, dass sie regulatorischen Anforderungen entsprechen und Vertrauen schaffen.

Insgesamt steht der Energiehandel an einem Wendepunkt: KI kann ein entscheidender Schlüssel sein, um die Herausforderungen der Energiewende zu bewältigen und sich in einem dynamischen Marktumfeld erfolgreich zu positionieren. Doch um ihr Potenzial vollständig auszuschöpfen, müssen Unternehmen die technischen, organisatorischen und regulatorischen Hürden aktiv adressieren. Mit einer klaren Strategie, starkem Know-how und der Bereitschaft, neue Technologien mutig einzusetzen, kann die Energiewirtschaft die Möglichkeiten von KI nicht nur nutzen, sondern den Markt der Zukunft aktiv mitgestalten.

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Dr. Marc Schmüser

Manager