Wie die S/4HANA Migration zum Fitnessprogramm für die Organisation wird
Die Migration auf S/4HANA ist mehr als nur ein Releasewechsel. Richtig umgesetzt wird die Migration zu einer organisatorischen Transformation mit dem Potenzial, die Zukunftsfähigkeit und strategische Ausrichtung des Unternehmens zu stärken. Dazu darf die Migration jedoch nicht als Routineaufgabe verstanden werden, sondern erfordert einen ganzheitlichen Ansatz.
Migrationsprojekte gehören zum Alltag von IT-Verantwortlichen. Doch nur selten trifft man auf Projekte in der Größenordnung einer S/4HANA-Migration, vor der viele Unternehmen heute stehen. Denn S/4HANA betrifft nahezu alle wesentlichen Unternehmensbereiche und eine Vielzahl hochkritischer Geschäftsprozesse. Angesichts der hohen Komplexität und der Potenziale, die ein Umstieg auf S/4HANA für Unternehmen bieten kann, sollten Unternehmen nicht den Fehler machen, diese Aufgabe wie jedes andere Routineprojekt anzugehen. Vielmehr erfordert der Umstieg ein umsichtiges Vorgehen, das die folgenden Aspekte berücksichtigt:
Strategische Befähigung statt Lift & Shift
S/4HANA wird voraussichtlich bis 2045 im Einsatz sein. Die S/4-Systemimplementierung wird somit die Arbeitsweise der Organisation für die nächsten 20 Jahre bestimmen. Ein reines „Lift-and-Shift“ macht vor diesem Hintergrund keinen Sinn.
„Unternehmen sollten die Migration als Chance begreifen, ihre Prozesse auf künftige Anforderungen hin auszurichten“
Um die Potenziale der Migration für die eigene Organisation zu heben und gleichzeitig die Migrationsrisiken zu minimieren, sollten Unternehmen vor Beginn der Umsetzungsphase neben den technischen Voraussetzungen auch den Reifegrad ihrer Prozesse dahingehend überprüfen und optimieren, dass einerseits der über die Jahre entstandene Wildwuchs an Prozessen wirksam beseitigt wird und diese andererseits die strategische Sicht des Unternehmens auf den (zukünftigen) Markt abbilden. Eine solche Konsolidierung und Optimierung der Prozesse trägt in der Regel auch dazu bei, die Migrationskosten zu reduzieren.
Dazu empfiehlt sich ein dreistufiges Vorgehen, bei dem zunächst im Rahmen einer Bestandsaufnahme ermittelt wird, wo das Unternehmen heute steht. Dabei werden sowohl die strategische Ausrichtung des Unternehmens, z.B. in Form von langfristigen Zielen, betrachtet, als auch das aktuelle Nutzungsverhalten in SAP untersucht und die End-to-End-Prozesse aufgenommen.
Auf Basis dieser Bestandsaufnahme kann anschließend ein Zielbild abgeleitet werden, das beschreibt, wohin sich die Organisation zukünftig entwickeln will und welche Maßnahmen dafür notwendig sind. Dazu werden die Anforderungen aus den verschiedenen SAP-Modulen konsolidiert, mit Hilfe einer Fit-to-Standard-Analyse gegen den SAP-Standard bewertet und entsprechende Maßnahmen abgeleitet und priorisiert. Diese Maßnahmen werden schließlich im Rahmen einer S/4HANA Roadmap verortet und zeitlich eingetaktet. Entscheidend ist dabei, die Organisation nicht mit zu vielen Maßnahmen zu überfordern, die das Migrationsprojekt zu sehr in die Länge ziehen. Stattdessen kann es sinnvoll sein, ausgewählte Maßnahmen in eine zweite Welle nach Abschluss der Migration zu verschieben.
Prozesse erkennen und Schwachstellen überwinden
Um eine effektive Prozessstandardisierung und -harmonisierung zu erreichen, müssen zunächst die relevanten Prozesse sowie mögliche Abweichungen und Schwachstellen identifiziert werden. Hierzu können verschiedene Modellierungs- oder Process Mining Tools unterstützend eingesetzt werden, um erste Schwachstellen datenbasiert zu identifizieren.
Die Basis bildet jedoch i.d.R. ein Prozesshaus auf Basis der SAP-Analyse zur Identifikation der Mengenströme und Auswahl der Top-Prozesse. Diese werden anschließend mit den relevanten Kenngrößen aufgenommen, so dass Schwachstellen und Optimierungspotenziale schnell erkannt und entsprechende Maßnahmen entwickelt werden können. Sind alle Geschäftsprozesse identifiziert, gilt es diese in Teilprozesse zu kaskadieren und anschließend die relevanten Varianten branchen- bzw. geschäftsmodellspezifisch zu segmentieren.
Aktives Change Management
Eine erfolgreiche S/4HANA-Transformation hängt -neben den technologischen Fragen- zudem maßgeblich von der Veränderungsfähigkeit einer Organisation und ihrer Menschen ab. Um diese erfolgreich einzubinden und die mit der Migration verbundenen Veränderungen in der Ablauf- und Aufbauorganisation, in den Skillsets und in der Zusammenarbeit zwischen Einheiten und Strukturen erfolgreich in der Organisation zu verankern, empfiehlt sich ein mehrstufiges Vorgehen:
Dabei geht es zunächst darum, die Organisation und ihre Grunddynamik zu verstehen und die Frage nach dem Warum, d.h. den Mehrwerten und Chancen der S/4HANA Migration für die Organisation, z.B. im Hinblick auf zukünftige Markt- und Kundenanforderungen, zu beantworten. Mit Hilfe eines Change Assessments werden neben den technischen Voraussetzungen auch der organisatorische Reifegrad und der Veränderungsbedarf zur Erreichung der Zielstruktur ermittelt. Aus diesen Erkenntnissen lässt sich eine grundlegende Change Management Strategie für die Organisation ableiten, in der Maßnahmen, Kanäle, Abfolgen und Frequenzen festgelegt werden. Darüber hinaus gilt es, Führungskräfte und Multiplikatoren in der Organisation zu identifizieren und zu aktivieren, damit sie die Transformation aktiv mitgestalten. Anschließend werden gemeinsam mit den betroffenen Mitarbeitern Wertströme und Elemente der Ablauf- und Aufbauorganisation analysiert und mögliche Optimierungspotenziale in den Soll-Prozessen identifiziert. Durch die gemeinsame Erarbeitung dieses Soll-Bildes kann das Commitment und die Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter deutlich erhöht werden, da sie auf diese Weise Teil der Veränderung werden. Mit Blick auf das Soll-System wird schließlich ermittelt, welche Kompetenzen dort zukünftig benötigt werden und welcher Qualifizierungsbedarf sich daraus ableitet.
Ein solcher systematischer Change Management-Ansatz sollte dann auch mit aussagekräftigen KPIs unterlegt werden, die eine kontinuierliche Erfolgsmessung und frühzeitige Adaption der Change-Maßnahmen ermöglichen.
Ganzheitliches Projektmanagement
Ein Projekt von der Größe und Komplexität einer S/4HANA-Migration kann von Unternehmen in der Regel nicht vollständig intern bewältigt werden, sondern bedarf der Unterstützung durch erfahrene SAP- bzw. Migrationsdienstleister. Dabei sind jedoch einige Herausforderungen bei der Auswahl und Steuerung der Dienstleister zu beachten:
Zum einen ist der Markt für SAP-Dienstleister, die ein solches Projekt unterstützen können, aufgrund der Vielzahl der aktuell laufenden Migrationsprojekte sehr angespannt. Die Folge: lange Vorlaufzeiten für Migrationsprojekte und wenige Bieter in den entsprechenden Ausschreibungsverfahren. Um in diesem Anbietermarkt dennoch attraktive Angebote zu erhalten, sollten Unternehmen bei der Erstellung ihrer Ausschreibungen darauf achten, die Messlatte für potenzielle Anbieter nicht zu hoch zu legen, die Unterlagen, z.B. im Hinblick auf die Synchronisierung der übergreifenden Anforderungen, konsistent zu gestalten und die Vorgaben des EU-weiten Vergabeverfahrens u.a. hinsichtlich der Qualität der Leistungsbeschreibung zu berücksichtigen.
Zum anderen erfordert eine erfolgreiche S/4HANA-Migration ein ganzheitliches Projektmanagement, das insbesondere zwei Aspekte berücksichtigt: Erstens eine ganzheitliche Sicht auf die verschiedenen Projektphasen im Sinne der Durchgängigkeit. Hier sollten Unternehmen insbesondere darauf achten, dass keine zu langen Unterbrechungen zwischen den einzelnen Phasen entstehen. Zweitens ein übergreifendes Verständnis der Kompetenzen und Ressourcen, die in der Organisation von der Migration betroffen sind - vom jeweiligen SAP-Modulwissen über das branchenspezifische Prozessverständnis bis hin zur konkreten Dienstleistersteuerung.
Fazit: S/4HANA Migration als einmalige Chance
Die Migration auf S/4HANA ist ein Mammutprojekt, das enorme zeitliche und finanzielle Ressourcen in Anspruch nehmen kann. Gleichzeitig ist die Umstellung auf S/4HANA eine einmalige Chance, Prozesse, Arbeitsweisen und Strukturen innerhalb der Organisation effizienter zu gestalten und auf zukünftige strategische Anforderungen auszurichten.
Unternehmen sollten daher bei der Wahl ihrer Migrationsstrategie nicht der Versuchung erliegen, den Weg des vermeintlich geringsten Widerstands im Sinne eines „Lift-and-Shift“-Ansatzes zu gehen, sondern die Migration von Beginn an als ganzheitliche Organisationstransformation verstehen und annehmen. Das erfordert neben einer strategischen Betrachtung der heutigen und künftigen Prozesslandschaft auch eine umfassendere Dienstleistersteuerung sowie ein wirksames Change Management.