Energieversorger müssen sich neu aufstellen
Der klassische Vertrieb eines Energieversorger steht vor großen Herausforderungen. Die bestehenden, historisch gewachsenen Energieversorgungsunternehmen müssen sich zunehmend an neue Gegebenheiten, an ein sich stetig änderndes Marktumfeld und an die steigende Erwartungshaltung der Kunden anpassen. Stand früher der Verkauf von Commodity-Produkten für langjährige Bestandskunden im Mittelpunkt des Vertriebs, sind es heute eher energienahe Dienstleistungen und ein breiteres Produktportfolio. Kooperationen mit Dritten und regionalen Partnern spielen eine zentrale Rolle. Worüber in Fachkreisen schon seit längerer Zeit diskutiert wird, ist mit der unerwartet aufgetretenen und noch immer anhaltenden Energiekrise noch deutlicher geworden. Die klassischen Energievertriebsprodukte bieten langfristig allein keine gesicherte wirtschaftliche Basis mehr und zwingen EVUs zum Umdenken.
Unübersichtliches Marktumfeld und zunehmende Unsicherheit im Vertrieb
Der Blick auf die aktuelle Energiepreisentwicklung führt bei vielen Versorgern zu Sorgen und Ungewissheit. Perspektivisch kann man hier lediglich eine vage Prognose treffen. Und mit den gestiegenen Preisen ist auch der Beratungsbedarf der Kunden gestiegen, egal ob bei der Tarifberatung oder bei Fragen zur Rechnung oder zu Zahlungs- und Ratenplänen. Auf diesen Ansturm sind jedoch die wenigsten Versorger wirklich vorbereitet. Meist fehlen nicht nur leistungsfähige digitale Tools, sondern auch flexibel einsetzbare Personalkapazitäten und grundsätzlich die dafür nötige Zeit. Wie man solchen Herausforderungen begegnen kann und welche Wege aus diesem Engpass führen können, zeigt unser Artikel zum Thema „Wellenbrecher“.
Die geopolitischen Entwicklungen der letzten Monate stellen die gesamte Wertschöpfungskette der Energiewirtschaft vor nie dagewesene Herausforderungen. So kämpfen nicht nur Verbraucher mit den steigenden Energiepreisen, auch die Energiebeschaffungskosten auf Seiten der Versorger explodieren. Wer sich nicht vorausschauend am Markt eingedeckt hat, muss sich nun mit einer kostenintensiven Energiebeschaffung auseinandersetzen, um seiner Verpflichtung nach Versorgungssicherheit und Erfüllung der vertraglichen Kundenansprüche nachzukommen. So müssen diese Energiemengen aktuell meist mit hohen negativen Deckungsbeiträgen beschafft werden.
Die Effekte der Energiekrise zeigen sich auch deutlich beim Blick auf die Kundenzahlen mit Grundversorgung. Viele wechselwillige Kunden sind in der Vergangenheit zu Billiganbietern abgewandert, die in der Energiekrise jedoch häufig in finanzielle Schieflage gerieten. Nun sind viele Kunden wieder in die lokale Grundversorgung zurückgekehrt.
Grundsätzlich sind die Wechselquoten auf Verbraucherseite in den letzten Jahren deutlich angestiegen, herbeigeführt durch den Markteintritt zahlreicher neuer Player und ein sich radikal verändertes Kundenverhalten. Diese Entwicklung fordert zwingend ein Umdenken in den Vertriebseinheiten. Ein zeitgemäßer und gleichzeitig kosteneffizienter Ansatz könnte die Nutzung von sozialen Medien sein. Hier sind die Vorbehalte der Energieversorger zwar häufig noch hoch. Doch schon allein aus demografischer Sicht wird sich diese logische Entwicklung nicht aufhalten lassen und Energieversorger werden sich dem Thema Social Media als Kundenkontaktkanal stellen müssen.
Sämtliche aktuelle Handlungsfelder und Herausforderungen der Branche werden durch das Pariser Klimaabkommen mit seinen neuen Regelungen, Gesetzen und Richtlinien noch verstärkt, die Komplexität erhöht sich. Die immer näher rückende Deadline hin zu einer klimaneutralen Welt zeigt aber auch die dringende Notwendigkeit einer Weiterentwicklung der Energieversorgungsbranche auf.
Die beschriebenen Thematiken bilden den Anstoß, dass sich Energieversorger, insbesondere deren Energievertrieb, weiterentwickeln müssen.
Der klassische Energievertrieb kann mit den anstehenden Herausforderungen nur schwer umgehen
Unterzieht man die heutigen Vertriebseinheiten einer kritischen Analyse, erkennt man in vielen Bereichen und Themenfeldern dringenden Handlungsbedarf. Während sich einzelne Versorger frühzeitig auf die aktuellen Herausforderungen eingestellt und entsprechend agiert haben, hinkt der Großteil der Energieversorger hinterher und hat oft die Notwendigkeit der Entwicklung noch gar nicht erkannt. Der klassische Energievertrieb sieht sich mit zunehmenden Herausforderungen konfrontiert: gestiegener Wettbewerbsdruck, eine erschwerte Realisierung positiver Produktmargen sowie die grundlegende Veränderung des Kundenverhaltens. So sind Kunden von heute meist jünger, wollen bevorzugt digital angesprochen werden und wünschen sich eine schnelle und unkomplizierte Kundenberatung. Zudem vergleichen sie kontinuierlich die Verbraucherpreise, sind wechselwillig und fordern neben reinen Commodity-Produkten verstärkt Energiedienstleistungen, z.B. Beratung, Installation und Energiedatenmanagement für PV-Anlagen. Hierauf müssen sich Energieversorger umgehend einstellen, wollen sie nicht einen weiteren Kundenschwund erleben.
Folgende sechs von m3 aufgestellte Thesen zwingen Energieversorger, ihren Energievertrieb schnellstens zukunftsfähig auszurichten:
- Klassische Commodity-Produkte wie Strom und Gas sind heute nicht mehr attraktiv genug, um Kunden zu gewinnen bzw. zu halten.
- Die aktuelle und kommende Kundengenerationen werden von den aktuell eingesetzten Kommunikations- und Vertriebskanälen der EVUs kaum mehr erreicht.
- Gewohnheiten und Anforderungen der Kunden an eine digitale Ansprache bzw. Prozesse können nicht bedient werden.
- Mit dem Bestandsgeschäft sind jedoch kaum mehr auskömmliche Margen zu realisieren.
- Eine zunehmend komplexere und sich stetig wandelnde Produktlandschaft kann alleine nicht mehr schnell genug entwickelt und bedient werden.
- Die aktuellen Prozesse und (Billing-)Systeme bieten unzureichende Flexibilitäten und sind mit zu hohen Kosten verbunden.
Exkurs: Die aktuelle Margenentwicklung verzehrt die Problematik und führt womöglich zu falschen Incentives
Der früher margenträchtige Verkauf von Strom und Gas hat an Bedeutung eingebüßt. So sind die Erlöse dieser Produkte in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken – gleichzeitig sind die Produkt- und Beschaffungskosten jedoch angestiegen. Je nachdem, welche Deckungsbeitragsstufe man betrachtet, werden Energiemengen schon seit längerer Zeit mit negativem Deckungsbeitrag bzw. mit einer schwarzen 0 verkauft. Die aktuell hohe Gewinnspanne von Versorgern kann auf einen Sondereffekt der Energiekrise und des Ukraine-Kriegs zurückgeführt werden. Dabei springen viele Versorger auf den Zug auf, die angebotene Energie überproportional als bisher und auf Marktniveau anzubieten. Oftmals auch dann, wenn keine Notwendigkeit bei dem ein oder anderen Versorger besteht. So lassen sich kurzfristig attraktive Margen realisieren. Nichtsdestotrotz führt diese temporäre, einseitige Betrachtung dieses Erholungseffekts zu einer verzerrten Einschätzung. So ist eine grundsätzliche, marktgetriebene Umkehr dieses Trends nicht zu erwarten – jedoch werden laut unserer Einschätzung laufend steigende Kosten im klassischen Commodity-Vertrieb (z.B. Systemkosten, Beschaffungskosten) sowie der anhaltende Konkurrenzdruck auf der Erlösseite mittel- bis langfristig zu einer weiteren Abschmelzung der Margen führen.
Das Ökosystem für den Vertrieb der Zukunft
Vor diesem Hintergrund braucht ein erfolgreicher Vertrieb eine klare Strategie sowie Offenheit zum Aufbau eines Netzwerks. Zudem bilden flexiblere Prozesse und der Abschied von starren Wertschöpfungsstufen eine signifikante Chance der Weiterentwicklung. Vertriebseinheiten sollten sich nicht nur intern weiterentwickeln, sondern auch die Möglichkeiten eines durchaus attraktiven Marktumfelds nutzen, beispielsweise für Kooperationen.
Strategisch und operativ ist eine Weiterentwicklung in unterschiedlichen Detailstufen und Richtungen denkbar und sinnvoll. Ansätze hierfür können sein:
- Etablierung eines zielgerichteten Marketings und Trackings
- Aufbau eines zukunftsgerichteten Shared Services
- Definition einer zeitgemäßen Zielkunden- und Vertriebskanalstrategie
- Entwicklung von (neuen) Energiedienstleistungen, z.B. mit einem Prototyping-Ansatz
- Interne Weiterentwicklung (Organisation, Prozesse, Systeme)
Mit diesem Artikel starten wir eine Serie von Blog-Beiträgen zum Thema „Vertrieb in schwierigem Marktumfeld“. In den folgenden Wochen und Monaten wollen wir für die beschriebenen Themenfelder der Weiterentwicklung unterschiedliche Ansätze beschreiben sowie Ideen und Meinungen von Fachexperten erörtern.